Wasserburg Leuchtet 2017

Wasserburg, die Schöne, hat im Licht der Abendsonne wieder einmal besonders zarte Farben aus ihrem Schminkkästchen geholt und macht sich bereit für das bunteste Fest des Jahres: Wasserburg Leuchtet. An Wochentagen, wenn ich über die Innbrücke nach Hause komme, empfängt mich sonst immer das Rauschen des flaschengrünen Flusses – heute Abend aber bin ich voller Vorfreude auf den Farbenrausch, der sich um mich herum entfalten wird, und der jedes Jahr anders, aber immer gleich beeindruckend ist.
Als ich noch vor der Dämmerung aus dem Haus trete, um nichts zu verpassen, bleibe ich überrascht stehen: alte Fahrräder sind über- und nebeneinander in einer kunstvollen Collage aufgebaut; miteinander durch Fahrradketten und Lichtbänder verbunden. Einer der jungen Männer, die die Installation noch testen, erklärt mir bereitwillig, das sei nicht nur (Zitat!) „Schrottverwertung 2.0“, sondern auch eine interaktive Plastik, die die Besucher einlädt, auf dem untersten Radl in die Pedale zu treten und selbst Teil des Kunstwerks zu werden. Geniale Idee, denke ich mir, als ich das Ganze beim Gehen „Radlständer update“ taufe. Da bleibt mein Blick an dem benachbarten Objekt hängen, und ich merke, dass ich über das ganze Gesicht strahle: eine Pusteblume aus Metall, sicher 2,5 m hoch, die später – so versichert mir die kreative Kunsthandwerkertruppe, noch dazu leuchten wird. Ich versuche zum Spaß, zu pusten, fühle mich keine vier Jahre alt, und als ich mich verabschiede, klingt mir das Lachen der Jungs nach und einer ruft „da musst fei schon noch a bissl üben“.
 
Besser als diese kleine Szene es tut kann man die Atmosphäre am Beginn von Wasserburg Leuchtet nicht charakterisieren. Heiterkeit, Offenheit, Leichtigkeit: so sollte es an 365 Tagen im Jahr überall auf der Welt sein. Bevor es richtig losgeht, lenke ich meine Schritte noch zu meiner kleinen Lieblingsstation ums Eck, um mich zu stärken. Da erklingen bereits die ersten Töne eines Akkordeons, akustische Fragmente, die die Besucher auf die Nacht einstimmen: melodische Sequenzen, sanfte Akkorde, die vielleicht von sentimentalen Erinnerungen oder vom zarten Beginn einer neuen Liebe erzählen.
 
Jetzt hält mich nichts mehr: ich mische mich unter die Besucher, will Teil des Festes werden. Ums Eck, in der Herrengasse, bleibe ich gleich verblüfft stehen: dicke, üppige Pflanzenformen, die wie aus fruchtbarem Dschungelboden zu wuchern scheinen, lassen die ersten Besucher schon ihre Handys zücken. Flammen lodern scheinbar an einer der Fassaden empor; optische Wärme für den Septemberabend. Dass aus meinem Blickwinkel direkt davor ein Stand „Flammkuchen“ anbietet, hätte man konzeptionell nicht besser planen können. Die „Brothers“ bauen nur wenige Schritte weiter auf und versprechen mir Folk-Pop mit ausschließlich eigenen Kompositionen. Ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes holt ganze Hände voll Hot Dogs für seine Kollegen; mir begegnet, wie jedes Jahr, der erste Erwachsene, der sich mit ungläubigem Staunen und Kinderlächeln umschaut. Und ich weiß: das Fest hat begonnen.
 
In der Salzsenderzeile bilden bunte Bälle immer neue geometrische Muster an einer Fassade, es entstehen faszinierende optische Täuschungen, die das Auge nicht fassen und der Verstand nicht analysieren kann. Und genau das macht das Spiel von Farbe und Form so schön. Muss man denn immer alles zuordnen, frage ich mich.... Als ich weitergehe, sehe ich die Poi Bälle wieder: leuchtende Objekte an Gummischnüren; LEDs in changierendem Licht, begeisterte Kinder unter giftgrünen Magnolienbäumen. Ich frage den Poi-Spezialisten, der für mich eine kleine Vorführung improvisiert, wir sprechen über Jonglieren, über Koordination von rechter und linker Gehirnhälfte – und auch darüber, wie viel einfacher und spielerischer Kinder an die Sache herangehen. Führt Leichtigkeit womöglich immer „leichter“ zum Erfolg? Darüber werde ich später einmal nachdenken, das hört sich spannend an. Jetzt aber ist Zeit für Wasser: am Eck zwischen Salzsenderzeile und Gerblgasse scheint ein dreidimensionaler Wasserhahn aus dem Gebäude zu ragen; darunter ergießen sich Wasserbäche die Hausmauer entlang. Na gut, solange der Himmel trocken bleibt, will ich zufrieden sein.
 
Wassergeräusche kommen mir aber auch aus der Färbergasse entgegen: der magische Brunnen zieht nicht nur Kinder an, die das Prinzip ergründen wollen, wie auf einmal Wasser nach oben fließen kann. Ich kann es mir auch nicht erklären, aber genau das macht ja die Faszination solcher Dinge aus, ebenso wie bei den ägyptischen Projektionen an der Hauswand, die mich in eine völlig andere Welt und Zeit katapultieren.
 
Nach wenigen Metern bin ich an der Hofstatt angelangt: ein großer Moment ist das Eintreten in Wasserburgs Wohnzimmer: Hunderte von Malen habe ich in allen Jahreszeiten den Platz überquert, in Besorgungsgängen oder auf dem Weg zum Samstagsfrühstück. Jedes Mal hatte er eine andere Atmosphäre: voll fröhlicher Menschen im Sonnenschein um die Marktstände, menschenleer bei Schneeschauern, die Häuser wie von einem Grauschleier überzogen, weihnachtlich geschmückt oder in lebensfroher Frühlingsstimmung. Jetzt erscheint er wieder ganz anders, gedrängt voller Menschenmengen, 3-D-Mappings, Chillout-Sound – und inmitten all der vielen Eindrücke mein Lieblingsmotiv: die kleinen Bäume wunderbar in Regenbogenfarben getaucht wie es sich kaum ein Maler ausdenken könnte. Bei meiner nun schon traditionellen Pause am Getränkestand schaue ich dem jungen Team zu, das gleichbleibend freundlich und engagiert die vielen Menschen versorgt; wir wechseln kurz zwei Sätze, freuen uns, dass wir uns nach einem Jahr wiedersehen – und plötzlich landet auf meinem Schreibblock eine Seifenblase, gleich darauf eine zweite auf der Nase. Ich schaue lachend und überrascht in den nächtlichen Septemberhimmel und erlebe einen besonders magischen Moment: die Seifenblasen, die in die Nacht aufsteigen, kreuzen die Lichtstrahlen der Laser und Scheinwerfer und glitzern wie Sterne; gleichzeitig wechselt das Motiv der Projektionen an den Hauswänden: Space Shuttles, Planeten und Sterne rundum! Realität, Fiktion und Poesie verbinden sich, Grenzen verschwimmen, und erst die Stimme meiner Thekennachbarin, die mich anspricht, holt mich wieder auf den Boden zurück. Aber der kleine Tropfen von der Seifenblase auf meiner Nasenspitze bleibt, auf meiner Haut und in meiner Erinnerung.
 
Die Färbergasse hat sich mittlerweile völlig verändert: der Engel aus Draht, der vor dem Fest noch unscheinbar auf dem Boden lag, schwebt jetzt illuminiert neben „meiner“ im Licht schillernden Pusteblume, während sich um die knallbunt leuchtenden Fahrräder eine große Menschentraube drängt. Die Fahrräder, die bei Tageslicht nur rostiges altes Metall waren, produzieren jetzt immer neue Farben und Muster wie ein Kaleidoskop. Das Team hat hier wirklich ganze Arbeit geleistet!
 
In einer Buchhandlung liegt ein großer Bildkalender mit Titel „Der Traum von Venedig“, wobei Wasserburg mit seinen bunten Hausfassaden leicht mithalten kann. Der Traum von Wasserburg breitet sich heute vor uns allen aus, denke ich mir, während Musik meine Aufmerksamkeit auf eine Bühne lenkt, wo eine Showtanztruppe temperamentvoll Emotionen in Bewegung und choreographischen Ausdruck übersetzt. Große Menschenmengen sehen fasziniert zu, und auch immer mehr Besucher drängen sich aus Richtung der Eingänge auf den Festbereich.
 
Ich bahne mir den Weg zum Brucktor, das von Rautenmustern geschmückt ist, die im Mittelalter verwendet wurden, aber jetzt von einer Lichtmaschine des 21. Jahrhunderts produziert werden. Dieser Kontrast über Jahrhunderte hinweg macht Wasserburg Leuchtet immer wieder so reizvoll. Im nächsten Bild scheinen grüne und rote Seidentücher das Zifferblatt auf dem Tor sanft einzuhüllen, und die Uhr wird zum Hauptmotiv, lädt die Besucher dazu ein, die Zeit ihres Aufenthalts heute Abend zu genießen.
 
Zurück in der Frauengasse schmücken jetzt Motive, die aus den 80ern stammen könnten, die drei Seiten des Platzes; Op und Pop Art harmonieren mit der mitreißenden Musik der sympathischen „Brothers“, die so loslegen, dass die paar vereinzelten Regentropfen, die
gerade fallen, kaum stören. Die Moderationen sind witzig und cool, die durchgängig selbst komponierten Melodien stimmen fröhlich, und darüber hinaus haben die Texte auch noch Niveau. Alle singen beim Refrain mit, und es geschieht wieder ein kleines Wasserburger Wunder: der Regen hört auf. Wie schön! Wir bleiben alle bis zum letzten Song, groß und klein tanzt oder bewegt sich im Rhythmus, klatscht mit, die Menschen lächeln einander zu, vor mir isst ein tanzendes Kind eine Schokobanane und bleibt doch vollkommen gebannt von der Musik. Mich wirbelt sie zurück, ich fühle mich wie gerade mal 24, und so geht es offenbar vielen der mitmachenden Menschen im Publikum. Selten hat Coming of Age, Phase 2, so viel Spaß gemacht.
 
Neben mir wirft die Glyzinie am Rathaus filigrane Schatten auf das Frauengassen-Schild, an dem ich so viele Tage im Jahresverlauf achtlos vorbeigehe und das jetzt orange und gelb aufleuchtet. Dazu ein Liebeslied der Brothers: Optik und Akustik bilden eine Symbiose und formen wieder einmal einen der ganz besonderen Momente des Fests. Das Konzert geht leider schon zu Ende: von mir aus hätte das noch ewig weitergehen können. Sie singen jetzt: „Shine your light“ und haben völlig recht mit ihrer Intro: es ist ganz wurscht, was andere über dich sagen, solange das, was du tust, aus deinem Herzen kommt und du immer du selbst bleibst. Shine your Light. Applaus brandet auf, gemischt mit Bedauern, das es vorbei ist, eine ältere Dame fragt, ob sie nächstes Jahr wieder kommen, ich kaufe mir eine CD, wie viele andere es auch tun und lasse mir zum ersten Mal nach gefühlten hundert Jahren wieder ein Autogramm geben.
 
Die Fans zerstreuen sich, ich gehe noch weitere Runden durch die Gassen, genieße einen knusprigen Imbiss, sehe in viele staunende, lächelnde Gesichter, freue mich über die immer friedliche Atmosphäre, sammle noch viele kleine Momente ein, wechsle ein paar Worte oder Sätze mit anderen Besuchern, lerne ein nettes Paar kennen, das jetzt vor kurzem nach Wasserburg gezogen ist und wir freuen uns miteinander an der südlichen, besonderen Lebensart in diesem Städtchen, ums Eck wehen ein paar Noten von dem selben Akkordeon, das den Abend für mich akustisch eröffnet hat – und als ich später durch die Ledererzeile nach Hause gehe, empfangen mich Klänge von Beethovens Neunter, die aus dem Abspann des Open Air Films vom Utopia kommen: „alle Menschen werden Brüder“ singt ein Mann neben mir mit: was für ein Grande Finale für ein immer wieder großartiges Fest! Wasserburg hat wieder einmal wunderbar geleuchtet und wird es auch nächstes Jahr tun – so sage ich mir, als ich die Haustür hinter mir schließe, meine Autogramm-CD in der Hand und eine Seifenblasenspur auf dem Nasenrücken wie ein Versprechen.
 
Heike