Wasserburg Leuchtet 2015

Licht und Sound, Hightech und Emotionen:

Die Jakobskirche läutet, als ich die Türe öffne und das Haus verlasse – als erstes sehe ich einen schwarzen Projektor auf dem Bürgersteig gegenüber, der intensiv blaues Licht ausstrahlt; ein junger Mann mit Handy am Ohr justiert ihn gerade. Typisch für Wasserburg Leuchtet: 400 Jahre alte Glockenklänge und ultramarine High-Tech Optik. Dieser Kontrast ist immer wieder reizvoll, denke ich, während ich ums Eck noch eine Kleinigkeit esse und einen Hund beobachte, der sich aufgeregt durch die sich füllende Gasse bewegt und eine Stadtführung kreuzt. Heiterkeit und leichte Spannung sind zu spüren, und ich mache mich auf den Weg.

Das Wetter scheint zu halten und es dämmert bereits. Also lenke ich meine Schritte zum Brucktor für das perfekte Entrée zu diesem Event. Wie schön: das Zifferblatt des Alltags fügt sich unversehens in rankende Pflanzenmotive, wie eine aus der Art geschlagene Blüte. Als das Bild wechselt, erscheint ein Vollmond auf dem Tor, wie ein Fresko mit abblätternder Patina, deren rostbrauner Ton den harmonischen Hintergrund für das Stadtwächtermotiv abgibt. Auch hier überlagern sich Jahrhunderte und heben sich gegenseitig hervor. Harmonie statt Kontrast: das erinnert mich, dass ich gleich zu Dundu gehen wollte.

Ich hatte davon gehört, aber als ich in die Frauengasse kam, wurde mir klar, dass meine Erwartungen übertroffen würden: zwei junge Männer gaben mir bereitwillig Auskunft darüber, was ich sehen würde und was ihre Philosophie war: Dundu ist der Name der überdimensionalen Figur und steht für „Du und Du“. Dundu wird bewegt von 5 Puppenspielern und ist die Personifikation von fünf Köpfen, fünf Körpern und fünf Herzen, die sich zusammenfinden, um Dundu zum Leben zu erwecken und auf einem Klangteppich gehen und tanzen zu lassen. Dundu ist dreidimensionale Poesie, die bewegen und verändern möchte; der Zuschauer empfindet das Miteinander statt dem Gegeneinander und versinkt im Moment. Nachdenklich stehe ich vor der regungslosen Figur aus weißem Geflecht: die beiden Poeten und ihre Truppe haben mich überzeugt, und somit wird es der Dundu auch hinbekommen.

Inzwischen beginne ich meinen Rundgang und muss in der Salzsenderzeile schmunzeln: kommen die weißlichen Schwaden aus einem der Imbißstände  oder ist das schon ein künstlicher Nebel als Weichmacher für die ersten Projektionen, die sich auf den Häuserfassaden der Hofstatt abzeichnen?

Als ich am Beginn der Färbergasse vorbei gehe, wird mir klar, wozu der blaue Projektor dient: ich sehe mitten in der Gasse Liegestühle (blau) vor einer Projektionswand  (Testbild ebenfalls blau) und lache aus ganzem Herzen, als ein Kind hinter mir vorbeigeht und ruft: „guck: alles blau. Blaublau!!“ Was für ein schönes Wort, zumal das Blau in der Färbergasse eine ganz besondere Heimat hat und ich kürzlich erst gelernt habe, dass in den ältesten Kulturen zu Beginn Wörter für alle Farben existierten, nur für Blau nicht. 

In die Ledererzeile eingebogen, entkommt meinen Lippen ein leises „Wow“! Überdimensionale Blüten und Ranken in Neonfarben scheinen sich aus dem Asphalt zu winden und in die Nacht zu wachsen, wie ein letztes Aufbäumen des bunten langen Sommers gegen die Herbstnacht.

In der Herrengasse beginnen sich die ersten geometrischen Projektionen auf den Fassaden der Häuser und auch auf dem verhüllten Turm von Sankt Jakob zu drehen. Ein Mann, der vorbeigeht, spricht mir aus dem Herzen, als er zu seiner Frau sagt: „Das ist ja Lichtmalerei!“ Gegenüber vom Museum wölbt sich ein beleuchteter Bogen aus luftgefülltem Kunststoff, und darunter blicken von der Museumsfront die Porträts von Herrn und Frau Gräf, einer der traditionellen Brauerfamilien, mit wie mir scheint, irritiertem Gesichtsausdruck auf das Treiben in der Gasse.

Ich stehe in der Frauengasse mit anderen Schaulustigen und sehe, wie die Puppenspieler von Dundu, alle schwarz gekleidet, einen Kreis bilden, sich gegenseitig um die Schultern fassen und ein Beschwörungsritual durchführen, um Dundu zum Leben zu erwecken. Und es gelingt! Als erstes leuchtet ein Ball auf einem Stab, von Glitzerpunkten durchsetzt – und Dundu bewegt sich! Zuerst unmerklich, dann deutlicher, zu den Klängen der Kora, einer afrikanischen Stegharfe. Er spielt, dann tanzt er mit dem glitzernden Ball, transformiert selber vom weißen Geflecht zu einer strahlenden, glitzernden Lichtgestalt. Dann bekommen seine Bewegungen und Schritte eine Richtung, und wie so oft, verstehen es Kinder als erstes: „wir wollen ihm nachgehen!“ rufen sie. Und so folgen wir der magischen Gestalt wie verzaubert, gehen durch ein Spalier von entlangstehenden Erwachsenen, auf deren Gesichtern sich erst Staunen, dann Lächeln abzeichnet. Ich beschleunige meine Schritte, überhole ihn, damit er mir entgegenkommt – und am Eck zur Salzsenderzeile kann ich ihn von vorne sehen und beobachten, wie er sich sacht nach vorne beugt und seinen Kopf wie staunend zwischen den strickumhüllten Magnolienbäumen hin und her bewegt, denselben Bäumen, die im Frühling sanftestes Rosa vor zartblauen Himmel setzen. Die Lautlosigkeit der Gestalt und die stillen, sanften Bewegungen machen den Moment, den Eindruck mystisch. Ich lasse ihn gehen und sehe ihm nach, wie er sich glitzernd und stumm den Weg durch die Menschenmassen bahnt. Mir ist klar, dass das jetzt schon eines der Highlights des Abends war, die mir heute Abend begegnen, und wie erwachend sehe ich mich um und stelle überrascht fest, dass die Plätze und Wege zwischen den Häusern sich unversehens mit Menschen gefüllt haben.

Mein Blick wandert nach oben, und ich freue mich, dass der  Himmel immer noch bewölkt ist, weil sich so die Tageswärme noch hält und man ohne zu frösteln das Fest genießen kann. Dabei streift mein Blick die backsteinfarbene Fassade eines Eckhauses, und der nächste Moment des Staunens ist unvermutet gekommen: ich dachte es hätte nicht geregnet, und doch scheint die Hausmauer von Regentropfen übersät. Als ich mich umdrehe, um zu sehen, woher sie kommen, sehe ich einen Overheadprojektor und einen jungen Mann mit strahlenden Augen. Er erklärt mir gerne auf meine Frage, dass das ganze optische Kunstwerk „nur“ aus Wasser, Farbe und Öl besteht, die surreale Muster und Regenoptik bilden und so das Haus verwandeln. Er fragt mich, ob ich einen Tropfen auf die Projektionsfläche auftragen möchte. Natürlich! Und so werde ich zum ersten Mal in all den Jahren kreativer Mitgestalter von Wasserburg Leuchtet. Eben solche kleinen Dinge mag ich sehr an diesem Fest.

Wenige Schritte weiter muss ich vor einem Zuckerwatte-Stand lachen: der Produzent trägt ein Superman-TShirt, allerdings nicht mit einem stilisierten S im Wappenlogo, sondern mit einem Z für: der Zuckerwatten-Mann! Manchmal könnte man meinen, dass diese besondere Nacht auch besonders humorvolle und kreative Menschen anzieht, selbst in den kleinsten Ständen. Kaum am Eingang der Hofstatt angelangt, denke ich im ersten Moment, dass mein Freund Dundu wieder zurück ist – dabei handelt es sich um eine statische Projektion auf einem der Häuser. Wie schön! Und ein weiterer wichtiger Mann an diesem Abend steht auf dem Wellblechdach des Hofstattdachs und dirigiert die Akteure und das Licht: Urs als dunkle Silhouette vor einem ahornroten Hintergrund, fast als hätte er sich selbst inszeniert.

Jetzt brauche ich aber eine Pause. Am besten gleich am Hofstatt-Stand, von wo aus ich das Picasso-Gesicht des Brucktors von einem der früheren Feste sehen kann, wie es auf die Attraktionen des Abends hinweist. Es beginnt im Anschluss ein 3-D Video Mapping, Kugeln, Säulen, ein Fassadenkletterer, Friese, ein Kugelregen aus bunten Smarties, Rubik’s Cube, bis sich dann letztlich grüne Läden, täuschend echt, vor den Fenstern schließen. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen künstlicher, kunstvoller Welt und der realen. Fiktion und Wirklichkeit bilden ein magisches Miteinander, laden ein, sich beim Zusehen zu verlieren.

Als sich eine Puppe verneigt und die Menschen applaudieren, wende ich mich in die andere Richtung und freue mich: wunderbar – mein Lieblingseffekt! Die altvertrauten Bäume in der Hofstatt, unter denen ich noch vor einer Woche im TShirt, an mein Rad gelehnt, gestanden bin und der Swingmusik zugehört habe, statt meinen Besorgungen nachzugehen, leuchten jetzt in allen Farben des Regenbogens und mit den Fassaden der mittelalterlichen Häuser um die Wette. So macht das Fest seinem Namen mehrfach Ehre.

Ich bestelle ein Glas Wein am Tresen, freue mich sehr, dass die beiden netten Jungs mich wiedererkennen und erwähne es auch. Da sagt einer von ihnen mit offenem Lächeln:
„na ja klar, du bist ja auch die einzige, die hier mit einem Block rumläuft“. Diese kleinen Momente der Leichtigkeit, die Begegnungen machen für mich den Unterschied zu den anderen Festen aus, zusammen mit dem kreativen Umgang mit Licht und Altstadtstruktur: Poesie und Spaß, Show und Magie, Farbe und Klang, getauschte Sätze, geteilte Augenblicke.

Ich stelle mich unter einen Baum. Das Gegenlicht der Scheinwerfer dahinter macht das Laub fast transparent, meine Hand streift die grünen Blätter, wird ebenso violett beleuchtet und teilt die feinen Nebelschwaden dazwischen: ein Gesamtkunstwerk fast, das auch nicht schlechter aussieht als die Projektionen hinter DJ B. Fuse.

Schließlich führen mich meine Schritte zum Open Air Kino in der Ledererzeile: „Zauberer in Wasserburg“ wird heute Abend gezeigt, ein poetischer Film, der mit leisem, heiterem und sensiblem Text zeigt, wie viele Menschen sich mit Musik und Theater, Ausstellung und Tanz beschäftigen, wie vielfältig und bunt die Stadt auch in dieser Hinsicht ist. Klassik wechselt mit Tango, koreanische Jugendliche mit alteingesessenen Wasserburger Idealisten. Ich hatte den Film schon im Kino gesehen, aber hier, im Freien, wirkt er noch intensiver, eingerahmt von diesem Fest, von den Eindrücken für alle Sinne. Auch der Titel bekommt dadurch eine weitere Dimension: Zauber ist in Wasserburg heute Nacht überall – und das dank den vielen sichtbaren und unsichtbaren Magiern, die dieses Fest erst möglich machen. Und irgendwo war ich das ja auch, mit meinem Tropfen Öl auf dem alten Overheadprojektor und dem veränderten Muster auf der Hausfassade: einer der Zauberer in Wasserburg.

Während ich die letzten Sätze schreibe, verlieren sich ganz leise auch die Klänge der Musik vor meinem Fenster, ein Nachhall eines besonderen Abends, bevor sich die stillen Herbstnächte über die nun dunklen Häuser der Altstadt senken. Die Menschen werden sich zurückziehen, aber sie werden, wie von Zauberhand gelenkt, zu Klängen von Musik wieder aus ihren Häusern kommen, wenn das nächste Fest beginnt. Das ist der Zauber dieser Stadt und von Wasserburg Leuchtet.

                                                                                                                                                Heike