Wasserburg Leuchtet 2011
Glockenläuten von St. Jakob – die Dämmerung senkt sich über die quaderförmigen, eng aneinander gebauten Häuser , die verwinkelten Gassen von Wasserburg. Es scheint ein ganz normaler Abend in einer besonderen Stadt am Inn.
Dennoch wird diese Nacht eine der schönsten des Jahres werden: WASSERBURG LEUCHTET! Erwartungsvolle Gesichter sehe ich, als ich das Haus verlasse; die Blicke fliegen an den mittelalterlichen Prellsteinen entlang, kreuzen sich mit den Schritten der ersten Besucher. Zusehends füllen sich die kopfsteingepflasterten Gassen; die Menschen scheinen das Motto des Stadtmuseums verinnerlicht zu haben:
„Ans Licht!“.
Und Licht ist der Hauptakteur, als es endlich beginnt: Zehn vor Acht stehe ich vor dem Brucktor: das altvertraute Zifferblatt hat eine Metamorphose erfahren: es scheint Teil der Blumenprojektion am Tor geworden zu sein: eine Zeitblüte ist entstanden inmitten von Schlinggewächsen. Und jetzt kommt noch die akustische Kulisse hinzu, die nicht einmal die souveränen Organisatoren besser hätten konzipieren können: Entenquaken über der vom Mond silbern beglitzerten Wasseroberfläche des Flusses – eine Stimmung wie in Gedichten von Eichendorff!
Ich biege in die Herrengasse, wo mich die Mühlrad-Muster an die Zünfte erinnern, die sich hinter den Mauern des Heimatmuseums verbergen. Jetzt legen die Laser los: die gebündelten Lichtstrahlen zerschneiden die Nacht über der Hofstatt und DJ B Fuse unter- legt gekonnt die Projektionen. In vielen Sprachen werden die Gäste und Einwohner von „Wass-Wass-Wasserburg“ begrüßt, verfremdet, strange – cool. Und dann schafft er auch noch irgendwie den Übergang zu Strauß: Wiener Walzer liegt in der Luft. Ich probiere aus, ob ich den Dreivierteltakt noch beherrsche, und während ich mich bewege, tanzt vor meinen Augen der Klangkörper einer Geige an der Hausmauer. Als ich aufhöre mich zu drehen, fängt ein neues Bild meine Augen ein: schwarze Scherenschnittsilhouetten der Künstlerinnen, die auf dem Wellblechdach der Hofstatt hin und her gehen, arbeiten – und dabei wiederum Schattenformen, Bewegungen auf der Hausmauer dahinter entstehen lassen.
Das alte Bäckerei-Nasenschild wirft filigrane barocke Schattenmuster auf purpurfarbene Wände; dazu erklingt „Blue Moon“: optische und akustische Farbenvielfalt – wie schön!
Die nächste Überraschung wartet nur wenige Schritte weiter in der Ledererzeile: Projektionen, ineinandergreifend, rotierend, und auch noch burgunderfarben wie der Wein im Geschäft gegenüber, tanzen auf dem Baugerüst. Und diese vermeintliche Beeinträchtigung wird zum optischen Highlight: die Lichtstrahlen tanzen auf den Bestandteilen des Gerüsts und das wiederum nicht in 3 D, sondern mindestens 7 D !!
Salvador Dali hätte seine Freude daran gehabt, denke ich und lächle in mich hinein.
Während ich durch die immer dichter werdende Menschenmenge gehe, wird mir beim Thema Lächeln bewusst: Wasserburg leuchtet ist das einzige Fest, bei dem Erwachsene mit großen Augen und Kinderlächeln umhergehen, wie verzaubert stehenbleiben.
Vor der Bar in der Schustergasse stehen zwei schwarzhaarige, schwarz gekleidete Kellner mit hinter dem Rücken verschränkten Händen zwischen zwei mannshohen weißen brennenden Kerzen und wirken selbst wie Teil einer coolen Installation. Da kann ich nicht widerstehen und lasse mir ein Glas Wein einschenken.
Weiter in der Färbergasse staune ich nur so: die gartenzwergbewehrte Idylle vom letzten Jahr hat sich in eine Open Air Disco mit flirrendem, wild tanzenden Laserlicht verwandelt - die Augen können kaum den wechselnden Formen, Farben und Richtungen folgen. Am Ende der Lasershow erklingt Applaus, hinter mir eine einzelne Männerstimme:
„guad habts‘ es gmacht!!“.
Es gibt aber auch, in der selben Gasse, stille, kleine Momente: ein paar trockene Zweige in einem Topf, blattlos, filigran, Zen-ruhig, vor einer blutrot bestrahlten Hausmauer: Natur und Technik, rivalitätsfrei und ästhetisch.
Feiernde, lachende Menschenmengen haben sich mittlerweile auf der Hofstatt gesammelt, tanzen, trinken, schauen. Die geniale Kombination von DJ Sound und die Stimme von La Yee: sphärisch, fast irreal, in perfektem Zusammenklang mit Techno und Instrument.
Zurück in der Ledererzeile stehen alte und neue Fans von Walkabout: Didgeridoo, Sitar-ähnliche Gitarrenklänge, Querflöte und exotische Trommeln faszinieren und lassen das Sonnengeflecht pulsieren.
„Kunst ist vergänglich“ sagt ein Mann im Vorübergehen. Ich sehe ihm nach und denke:
Der Abend ist vergänglich, stimmt. Aber was ist mit dem, was in meiner Erinnerung, meinem Herzen bleibt? Nachdenklich gehe ich weiter, bis mich Freundesstimmen auffangen, ich tauche ein in Worte, Lächeln, Umarmungen. Vielfältig, bunt wie die Projektionen sind die Momente von Wasserburg Leuchtet.
In der Salzsenderzeile gibt es eine weitere Überraschung: die zauberhaft duftigen Frühlings-Magnolien, rosarot vor himmelblau, haben sich im Schwarzlicht in giftgrün berankte Urwald-Bäume verwandelt. Schrille Plastiklianen schlingen sich um die Stämme; Vogelstimmen , Papageiengeschrei zoomen den Betrachter in den tiefsten surrealen High-Tech-Dschungel. Umso frappierender die Seifenblasen, die von den Zweigen zu regnen scheinen. Erwachsene, Jugendliche und Kinder versuchen gleichermaßen die zart schillernden Kugeln zu fangen. Eine landet, als ich mich extra deswegen vorbeuge, exakt auf meiner Nasenspitze, und ich freue mich wie eine Vierjährige. Wer würde so etwas an einem normalen Tag, in einer normalen Stadt, „normalerweise“ noch machen? Wasserburg erlaubt Phantasiemomente, kleine Verrückt-heiten und Kindergefühle.
Die Häuser in der Herrengasse sind überzogen von tieforangen und türkisfarbenen Schlieren, die sich bewegen und wirken wie sich hebende Vorhänge; Bewegung, die sich bald, in den beginnenden Herbstnächten, wieder hinter unbewegliche, schweigende Fassaden zurückziehen wird.
Es zieht mich nochmal vors Brucktor: diesmal erwartet mich eine Farben- und Formenexplosion: ein Gesicht wie auf einer tibetischen Stupa, mit magischen Augen (oder ist es doch der Raubvogel, den der Mann neben mir sieht?). Ein Eye-Catcher ist in jedem Fall der historische rote Wasserburger Löwe, der exakt im aufgerissenen Mund der Projektion platziert ist und von dort die Stadt doppelt beschützt.
Ich sehe nach rechts, und dort hängt im nachtschwarzen Himmel der abnehmende Mond, der ein Salettl beleuchtet, still, wie vor 200 Jahren. Als ich langsam Richtung nach Hause gehe, begegnet mir noch ein schlafendes Kind auf den Schultern des Vaters, den Kopf auf dessen Kopf gelegt, schon in Träumen mit bunten Bildern versunken. Das Kind ist schon aufgefüllt mit Farbe und Licht; die vielen Luftballons auf der Hausmauer sind nur zauberhafte Kulisse für diese Momentaufnahme.
Ein Wort klingt an mein Ohr: „Zaubergarten“ höre ich von einem Paar, das sich umarmt. Wie recht sie haben. Wasserburg ist viel – „Wasserburg Leuchtet“ ist noch viel mehr !!!